Frank Nöthlich
Die Welt durch uns: Am Ende bleiben Suchen, Sieg und Irr’n
Inhalt
An den Leser ……………………………………….1
Irgendwann entsteht irgendwas
Und immer sind wir Suchende
Sternstunden und Alltägliches
Zwischen Macht und Ohnmacht
Alles, das du brauchst ist Liebe
Der politische Mensch
Von der Rache und von der Moral………….2
Kulturrevolution
Zum Schluß …………………………………………3
1 An den Leser
An den Leser
Dieses Buch soll erregen, aufregen
und anregen, um beim Leser sowohl Zustimmung als auch kritische Distanz zu
erzeugen, denn in ihm wird nach Antworten auf Fragen gesucht, die uns durch
unser menschliches Dasein gestellt werden.
Ist es wirklich wahr, daß es uns
Menschen gibt? Woher sind wir gekommen und wohin gehen wir? Gibt es uns
zufällig oder entspringt unser Dasein einer zwingenden Notwendigkeit? Was ist
das Wesentliche des Menschseins und was ist uns Menschen möglich? Gibt es das
Gute und das Schlechte an sich oder sind dies Extremwerte, zwischen denen sich
unser Menschsein bewegt?
Um existieren zu können, muß sich
alles Seiende, auch unser Lebendig-Sein bewegen. Leben ist ein Vorgang, der nur
gegenwärtig geschieht. Das gestern Gelebte kann heute noch sein, aber nicht so,
wie es war.
Merkmale wie der aufrechte Gang, frei
verwendbare Hände, merk- und assoziationsfähiges Großhirn, Sensibilität und Motorik
des Nervensystems, Selbst- und Arterhaltungstrieb, zur Lautbildung befähigter
Kehlkopf und viele andere ermöglichen uns Menschen denken, sprechen, erkennend
reflektieren, Zusammenhänge sehen, Aktivitäten koordinieren, kameradschaftlich
zusammenwirken, uns mit allem und jedem auseinandersetzen, also menschlich lebendig
sein zu können.
Alles, das unser Mensch-Sein ausmacht, wird
uns durch Informationsübertragung im Verlauf unserer Stammesgeschichte über das
Wirken der Naturgesetze und jedem konkret einzelnen Menschen am Beginn seiner
Individualentwicklung zunächst durch die Übertragung der Erbanlagen und danach
zeitlebens durch Bildung und Erziehung gegeben.
Das gilt besonders auch für die Motivation
kreativ sein zu wollen. Der urwüchsige Willensakt zum kreativen Handeln könnte
synonym als „Schöpfungswonne“ bezeichnet werden.
Das menschliche Leben bewegt sich
eingebunden in das universelle Weltgeschehen. Aber es ist das Suchen nach
Antworten auf die Fragen des Alltags, die uns zum Handeln motivieren. Die
Bewältigung der Mühen und das Genießen der Freuden unseres alltäglichen Lebens
sind es letztlich, die den Verlauf unserer Geschichte bestimmen.
Erstmals 1914 ging der von Thomas Hobbes so
beschriebene permanente “Krieg aller gegen alle”, wie ihn die Menschheit schon
viel zu lange kennt und führt, in einen heißen Weltbrand, den ersten global
kapitalistisch motivierten Weltkrieg, über. Es folgte, im September 1939
beginnend, gleichermaßen verursacht und weitaus schlimmer die manifeste
Menschlichkeit verheerend, der Zweite.
Das bis heute nicht vollständig bezüglich
seiner wahren Hintergründe geklärte Attentat einer Terroristengruppe auf den
österreichischen Thronfolger und seine Frau veranlaßte die damals Mächtigen den
ersten Weltkrieg zu beginnen.
Unverhohlen ausgeübter faschistischer
Staatsterror gebot den fingiert als von polnischen Tätern verübten, blutigen
Überfall auf einen deutschen Radiosender, um einen Anlaß zum Eintritt in den
Zweiten Weltkrieg zu erheischen.
Im September 2001 erfolgte ein terroristischer
Anschlag auf das New Yorker World Trade Center sowie gleichzeitig auf das
Washingtoner Pentagon, das Verteidigungsministerium der USA, und nur
vermutlich, da glücklicherweise verfehlt, auch auf das Weiße Haus, den Amtssitz
des US-amerikanischen Präsidenten. Als Veranlasser der Anschläge wird sehr unscharf
umschrieben und pauschal angegeben der sogenannte „Weltterrorismus“ benannt. Die Antwort der Militärgewaltigen auf die Anschläge
in den USA ist eine Allianz überwiegend demokratisch geprägter Staaten gegen
die Terroristen und gegen Staaten, die diese tatsächlich oder auch mutmaßlich
unterstützen, besonders sogenannte “Schurkenstaaten”.
Geschichte ist die in der Vergangenheit
passierte, gegenwärtig wirkende und die Zukunft bedingende Lebenstätigkeit der
Menschen, sie kann immer nur vom Standpunkt und vom Kenntnisstand des Betrachters
in einigen ihrer Aspekte gesehen und bewertet werden.
Im Spannungsfeld der Emanzipation und der
Integration der Menschheit aus ihrer und in ihre natürliche Wirklichkeit sowie
jedes Einzelnen von seiner und in seine mitmenschliche Gemeinschaft entspringt
und entwickelt sich das Mensch-Sein.
Ob im Alltäglichen oder anläßlich
hervorragender Ereignisse, immer bestimmen in der menschlichen Gesellschaft
objektiv wirkende und subjektiv getroffene Entscheidungen und deren Umsetzung
den Fortgang der Geschehnisse. Die Fähigkeit, bewußt handeln zu können,
befähigt und berechtigt uns Menschen, einen Willen zu haben und ihn
durchzusetzen, sie verpflichtet uns aber auch, jegliches Tun moralisch sowohl
vor uns selbst, als auch vor allen unseren Mitmenschen zu rechtfertigen.
Unsere biotischen, psychischen und sozialen
Wesenseigenschaften befähigen uns zur Kreativität. Die Möglichkeit, kreativ
sein zu können unterscheidet uns Menschen von allen anderen Seinsformen der
Wirklichkeit.
Uns Menschen ist die Pflicht auferlegt kreativ
zu sein, denn unsere Bestimmung, die uns unser Lebenswille auferlegt, ist es,
die sich zufallsnotwendig ereignende, natürliche Wirklichkeit in unserer bewußt
und vernünftig gestalteten, Vervollkommnung und Schönheit erstrebenden,
kulturellen Wirklichkeit aufzuheben und so das Sein in seiner Ganzheit zu
bewahren.
Eben darum müssen jedem Menschen all die
Rechte zugestanden werden, durch deren Inanspruchnahme wir unsere wesenseigenen
Bedürfnisse befriedigen, uns immer besser zu kreativem Wirken befähigen und so
unsere Pflichten erfüllen können. Kultur, Kunst, Wissenschaft, Technik,
Wirtschaft, Landwirtschaft und Politik sind Bewegungs- und Betätigungsfelder
menschlicher Kreativität.
Gesetzt, Kreativität wird als das den Menschen
in seiner spezifischen Einzigartigkeit ausmachende Ensemble von Fähigkeiten
erklärt, so war jene mit eben diesem Inhalt gesehen bisher für die Menschheit
notwendig und sie ist selbstverständlich ein notwendiges Basiskriterium für
unsere Zukunft. Immer jedoch ist sie eine gegenwärtige Notwendigkeit für das
Mensch-Sein. Es gilt also immer, sowohl allen konkret einzelnen Menschen als
auch der menschlichen Gesellschaft als Ganzheit zu ermöglichen, ihr kreatives
Potential entfalten zu können.
Atmend, essend, sich fortpflanzend,
kommunizierend, denkend, machend, spielend, lernend, arbeitend, liebend,
hoffend, glaubend, begreifend, befriedigend, bewahrend bewegen wir Menschen uns
zwischen Last und Lust, von der befruchteten Eizelle bis zur Denaturierung der
unser Leben bedingenden Eiweiße.
Unser Leben ist ein immer währendes
untersuchen und beeinflussen der Wirklichkeit sowie suchen nach und begreifen
von Wahrheiten. Solange wir leben, versuchen wir, unser Dasein zu verlängern
und die uns gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen.
So entwickelt sich ein Jeder zur
Persönlichkeit und nimmt seine menschliche Gestalt an. Für sich allein aber
kann das kein Einzelner bewältigen, wir alle brauchen Hilfe, Anleitung,
Freundschaft und Liebe. Und wir brauchen Gerechtigkeit.
Auf der Suche nach Gerechtigkeit muß der Blick
immer in Richtung der Endlichkeit eines Menschenlebens gehen. Gerechtigkeit für
den Einzelnen, kann nur im Verhältnis zu seiner Einmaligkeit gewertet werden.
Wie es einem Menschen möglich ist, sein Handeln eigenwillig bestimmen zu
können, zeigt, ob ihm Gerechtigkeit widerfährt, was er eigenverantwortlich tut,
gibt Auskunft darüber, ob er sie übt.
Es ist nicht leicht, Recht und Unrecht im
Wechselspiel geschichtlicher Ereignisse zu erkennen und zu unterscheiden. Das
Suchen nach Gerechtigkeit ist jedoch immer wieder historisch belegt und hat das
Bewußtsein der Menschen maßgeblich beeinflußt. Besonders die Art und Weise des
Umgangs mit vermeintlichem Besitz schafft Differenzierungen zwischen den Menschen,
die wahrer Gerechtigkeit nicht entsprechen.
Der Mensch als bio-psycho-soziales Wesen muß,
um existieren zu können, die Wirklichkeit verbrauchen, vernehmen und verändern.
Darum und weil er ohne seinen Willen inkarniert wird und nur zeitlich begrenzt wirklich
sein kann, kann ihm umfassende Gerechtigkeit auch nur in Lebensverhältnissen widerfahren,
die ihm die Möglichkeiten der Eigenwilligkeit, der Eigenverantwortlichkeit und
der seiner Selbst entsprechenden, kreativ schöpferischen Betätigung bieten. Eigenverantwortlich
können wir Menschen unsere Bedürfnisse befriedigen, vorurteilsfrei und
eigenwillig das wirklich Wahre begreifen und kreativ schöpferisch handelnd die
Wirklichkeit in ihrer Eigenart bewahren.
Gerechtigkeit muß erwogen, gewertet und gesucht
werden. Menschliches Tun kann immer nur mehr oder weniger, zwischen bewahren –
erheben – verändern – zerstören – beenden liegend, gerecht sein.
Politisierende Machtmarionetten in Ämtern und
manipulierende, Expertisen erstellende, als Kenner erscheinende und sich öffentlich
als solche darstellende Welterklärer ermöglichen seit eh und je durch
Verdunkelung wahrhaftiger Ursachen und Vernebelung wirklicher Hintergründe und
Tatsachen, daß sich Menschen oft auf den jeweils schlimmsten, als alternativlos
dargestellten Weg zur Lösung ihrer Probleme begeben.
Damit der Mensch des Menschen Wert werde, sind
wahrhaftige Aufklärung und Orientierungen auf das wirklich Mögliche für eine
sinnvolle Lebensgestaltung notwendig.
Die uns, den Menschen, also uns allen möglichen
Bemühungen, wahre Zusammenhänge zu begreifen, notwendigerweise vorhandene
Bedürfnisse zu befriedigen und wirklich wahre Möglichkeiten des Seins in ihrer
Eigenart zu bewahren sind ebenfalls seit eh und je vorhanden und von großen
Erfolgen und Errungenschaften begleitet.
Zufriedenheit erlangt derjenige, der in der
Lage ist, sie sich zu erarbeiten. Nehmen wir Menschen uns also die Freiheit
etwas für den Frieden, für unsere Befriedigung und unsere Zufriedenheit zu tun!
Das von uns Menschen erworbene und in unserm Denken und Fühlen bewußt werdende
Weltgewissen gibt uns Auskunft und Orientierung beim Errichten eines
menschenwürdigen Wohnsitzes für jeden konkret Einzelnen, also uns alle.
Suchen und wagen wir die Menschlichkeit!
2 Von der Rache und von der Moral
“Asseret ha –
Diwrot” sagt man auf hebräisch und “Dekalogos” auf griechisch zu den Zehn
Geboten, die Jahwe-Elohim Mosheh auf seinen Befehl in steinerne Tafeln hauen
ließ und aufgrund deren der von sich meinende, einzig wahre Gott einen Bund mit
dem Volk Israel geschlossen hat.
Auf dem Berg
Sinai erhielt also Moses das Gesetz. Die ersten vier Gebote sagen dem Volk, wie
sie sich Gott gegenüber verhalten sollen. Keinem anderen Gott zu dienen und an
einem Tag in der Woche nicht zu arbeiten, sondern zu ruhen und Gott anzubeten
wird von ihnen zuerst gefordert. Des Weiteren sollen sie keinen falschen Eid
leisten und dabei Gottes Namen gebrauchen. Die Kinder sollen ihre Eltern lieben
und sie sollen ihnen gehorchen. Die nächsten fünf Gebote handeln davon, wie
sich die Menschen untereinander zu verhalten haben, in Liebe, ohne Haß und
Neid, ehrlich und ohne Gewalt sollen sie miteinander leben.
Warum muß ein
Gott mit seinem auserwählten Volk ein solches Bündnis eingehen und ihnen Verhaltensregeln
vorgeben? Hat er sie nicht auch in ihrem Wollen nach seinem Bilde erschaffen?
Im antiken
Griechenland waren archaische Rachegöttinnen für das Einhalten moralischer
Verhaltensgebote verantwortlich.
Die Erinnyen, wie
sie ursprünglich genannt wurden, erschuf Gaia aus dem Blut des entmannten Uranos.
Unerbittlich verfolgen diese diejenigen, die sich gegen die sittliche Ordnung
vergangen haben, und verbreiten Wahnsinn und Tod. Man stellte sie sich als
Greisinnen vor, bluttriefend, mit Schlangen statt Haaren und Fackeln
schwenkend. Im dritten Teil der Orestie des griechischen Dichters Aischylos ist
zu erfahren, daß Athene den von den Erinnyen gepeinigten Muttermörder Orestes
freispricht und die Furchtbaren mit der Errichtung eines neuen Kultes
besänftigt, der die Eumeniden, wie die Erinnyen nun heißen, als die
Wohlmeinenden und die Segenbringenden zu Hüterinnen alles Heilbringenden beruft.
Auch unter ihrem
lateinischen Namen Furien treten diese Rachegöttinnen als Figuren der Hölle und
der Unterwelt in zahlreichen Dichtungen der Weltliteratur auf. Vergils Äneas
sieht sie wieder in ihrer alten Gestalt bei seiner Unterweltfahrt und folgerichtig,
mit Vergil als seinem Begleiter, beschreibt Dante ihr Aussehen im 9. Gesang des
Inferno der GÖTTLICHEN KOMÖDIE als schrecklich. Die Mörder des Ibykus werden in
Schillers Ballade durch die Erinnyen überführt: “Sieh da! Sieh da, Timotheus,
die Kraniche des Ibykus! … Und ahnend fliegts mit Blitzesschlage durch alle
Herzen: ‘Gebet acht, das ist der Eumeniden Macht’. Der fromme Dichter wird gerochen,
der Mörder bietet selbst sich dar!” Und in Goethes FAUST II treten sie im
Maskenzug des 1. Aktes als
Liebesbeziehungen störende junge Mädchen auf.
Überall, ob in
alten Überlieferungen, in Gesetzeswerken, in Proklamationen oder in der
Weltliteratur, wird energisch darauf hingewiesen, daß menschliches Zusammenleben
moralischer Normen bedarf und immer werden Macht bewährte Instanzen zur
Anwendung und Beachtung derselben als notwendig erachtet.
So umreißt auch
die Offenbarung des Mohammed unter anderem die Ordnung der islamischen Familie
und ihre Struktur. “Und prüfet die Waisen, bis sie die Ehereife erreicht haben;
und so ihr in ihnen Vernünftigkeit wahrnehmet, so händigt ihnen ihr Gut aus.
Und verfresset es nicht verschwenderisch und in Eile”, heißt es beim Religionsstifter
der Moslime. Solche und viele andere Anordnungen gaben dann später noch Anlaß
zu detaillierteren Normierungen, welche die Traktate über deren Jurisprudenz
füllen. Da selbst die kleinsten Einzelheiten geregelt wurden, waren bald Spezialisten
nötig, um bestimmte Teilbereiche zu überblicken und ihre Anwendung im täglichen
Leben zu garantieren. Die Gesamtheit der Vorschriften für ethisches Verhalten
und kultische Praxis wurde schari’a genannt.
Der Koran ist in
den Vorstellungen der Moslime die Botschaft Gottes in arabischer Sprache und
somit Glied einer Kette: Moses gab dem jüdischen Volk die Thora, das Alte
Testament, Jesus den Christen das Evangelium, das Neue Testament, und Mohammed
vermittelte schließlich den Arabern den Koran. Als der von Gott bestimmte
Zeitpunkt gekommen war, erhielten demnach auch diese seine Schrift.
Bücher, in denen
Gedanken und Gefühle zu sinnweisender, bestimmungsorientierter Moralität in Geschichten
und Allegorien widergespiegelt und symbolisch, in Prosa oder lyrisch und
bildhaft, in jedem Fall aber in Schriftsprache und sonst irgendwie von Menschen
gestaltet, dargestellt werden, gibt es viele. Sie entsprechen den vielen
Möglichkeiten menschlichen Seins, das sich als solches jeweils in eigentümlich
selbstbewußter Sozietät und gemeinschaftlicher Strebsamkeit aus unendlicher
Wahrheit wirklich erheben kann.
Der in der Bibel
beschriebene Werdegang des Menschen von seiner Erschaffung bis zur Vertreibung
aus dem Paradies weist deutlich darauf hin, daß der Mensch entsprechend jüdisch
–christlich – islamischer Vorstellungen moralischer Verhaltensregeln bedarf.
Adam sollte nach
göttlichem Ratschluß der leibliche und geistige Stammvater des Menschengeschlechtes
werden. Bevor er dies jedoch wurde, unterwarf ihn Gott einer Prüfung. Er verlangte
von ihm die gehorsame Beachtung des Gebots, nicht von der Frucht des Baumes der
Erkenntnis zu essen. Von der Schlange, nach späterer Erklärung vom Teufel,
verführt, verstieß Adam auf Veranlassung Evas gegen dieses Gebot und machte sich
dadurch einer so schweren Sünde schuldig, daß Gott ihm, Eva und allen späteren
Menschen die früheren Vorzüge entzog. Seitdem seien die Menschen nicht mehr
auch mit dem Leibe unsterblich, sondern dem Tode unterworfen, denn „dieser ist
der Sünde Sold“ (Röm.6, 23), sie dürfen nun nicht mehr sorglos im Paradies
leben, sondern müssen in der Welt hart arbeiten.
In ihren
Ansichten über den geistig moralischen Zustand, in den die Menschheit durch den
Sündenfall versetzt worden sei, weichen die katholischen und die protestantischen
Dogmatiker voneinander ab.
Nach römischer
Lehrart hat sich die menschliche Natur an sich durch den Sündenfall nicht
verändert, aber die ihr von je eigenen Kräfte der Erkenntnis und des Willens
sowie die Fähigkeit, sich selbständig für das Gute zu entscheiden, seien ihr,
in abgeschwächtem Maße geblieben. Die übernatürlichen Gnadengeschenke, die Gott
ursprünglich Adam gemacht habe, Heiligkeit und Gerechtigkeit, die im Einklang
von Wünschen, Sollen und Tun bestehe, sowie die Unsterblichkeit und der Genuß
des Paradieses seien dem Menschen jedoch verlorengegangen, folglich hätten sie
die beständige Richtung auf das Gute hin und die Bändigung der Fleischeslust
eingebüßt.
Die
protestantische Theorie unterscheidet nicht zwischen natürlichen und übernatürlichen
Gnadengaben, sondern nimmt an, daß der Mensch durch die Sünde total verdorben
sei. Die ursprüngliche Gerechtigkeit habe einst das Wesen des noch nicht
gefallenen Menschen ausgemacht, nach dem Sündenfall jedoch sei ihm die „Verderbtheit“
wesenseigen und infolgedessen sei nun der Mensch von sich aus völlig
außerstande, Gott recht zu erkennen und zu lieben und das Gute zu wollen und zu
tun.
Hätten Adam und
Eva ihre paradiesische Aufgabe, gottähnliche Nachkommen zu zeugen und mit
diesen auf Erden in aller Ewigkeit die gnädig gespendeten Gegebenheiten zu
gebrauchen und zu vervollkommnen, erfüllen können, ohne vom Baum der Erkenntnis
zu naschen? Hat Gott sie sich nicht deshalb ähnlich gemacht, damit sie als
selbstbewußt für sich sorgende und die Welt in ihrer vollkommenen Schönheit
bewahrende Geschöpfe und somit zu seinem Wohlgefallen tätig werden?
Jedenfalls hat
sich der Mensch in seinem Tun immer zwischen gut und schlecht zu entscheiden.
Vom Teufel wurde er zum sündigen Verlangen nach Erkenntnis verführt und dieser
sagt bei Goethe schließlich von sich selbst, er sei “ein Teil von jener Kraft,
die stets das Böse will und stets das Gute schafft.”
Aber nicht nur
die Bibel ist ein Buch der Ethik, so auch die heiligen Schriften des
Hinduismus, die Veden. Diese sind der Rigveda, das Wissen von den Preisliedern,
der Atharveda, das Wissen von den Zaubersprüchen, die Upanischaden, die Geheimlehre
von der Erhabenheit des Allwesens und dem Einssein mit der menschlichen Seele,
sowie das Heldenepos Mahabharata mit seinen Gesängen.
Den Veden ist zu
entnehmen, daß sich die einst streng materialistische und lebensbejahende Weltsicht
der indischen Gesellschaft im Laufe der Geschichte zu einer von unheimlichen Daseinskräften
beherrschten, von Göttern und Dämonen bevölkerten Lebensordnung gewandelt hat.
Opferwesen und Magie überwucherten schließlich, es begann eine Phase mystisch
spekulativen Denkens. Mit dem Alleinheits-Dogma und dem Glauben an die Wiedergeburt,
mit dem Karman und dem Gesetz der nachwirkenden Tat kam die Wendung vom Stoff
zum Geist, vom streben nach materiellen Gütern zu seelischen Idealen.
Die Brahmanen
formulierten vier Lebensziele der Hindus: Dharma ist das Recht, die Sitte, der
Brauch und die religiöse Pflicht, das Artha gibt Maßregeln zur Gewinnung und
Erhaltung materieller Güter und Kama nennt Mittel und Wege zur Befriedigung des
Genusses. Die Lebensklugheit und -kunst besteht darin, diese drei Ziele in Harmonie
miteinander zu bringen und so dann das vierte Ziel, die Moksha, die Erlösung, als
Geschenk zu erhalten.
Fünfhundert Jahre
vor Christi Geburt verkündete Siddharta Gautama, später als Buddha bezeichnet,
seine Lehre, die, in zahlreichen Schriften festgehalten, die Abkehr vom tätigen
Leben empfiehlt, um auf dem sogenannten „achtfachen Pfad die Erlösung von der
Wiedergeburt“ und dadurch den Eingang ins Nirwana zu erlangen. Im alten China
geben die Schriften des Taoismus und Konfuzianismus moralische Orientierungen.
Das Wirklich-Sein
der Menschen hat viele Möglichkeiten, in jedem Fall müssen sie um Erkenntnis
ringen, ihre Bedürfnisse befriedigen und versuchen, die Welt so zu gestalten,
dass sie auch nach ihrem Dasein Raum und Zeit weiterer Wirklichkeiten sein
kann. Immer geht es um Sein und Nichtsein, auf und ab, ob in Urzeiten der Bewusstseinsbildung
oder in der Gegenwart.
Eine
Überlieferung des Volkes der Tembe in Ostbrasilien beschreibt eine Frau und
ihren Mann, die sieben Söhne hatten. Diese weinten jeden Tag und riefen nach
den Eltern: „Papa, wir wollen etwas zu essen haben! Mama, wir möchten etwas zu
essen haben!“ Die Eltern konnten nur antworten: “Ach, Kinder, wir gaben euch
schon zu essen, und jetzt ist es genug!“ Diese weinten weiter, und die Mutter
fuhr sie an: „Ihr seit Freßsäcke!“ Worauf die Kinder flehten: „Du willst uns
also nichts zu essen geben, Mutter!?“ Die Mutter nahm daraufhin das letzte
Eßbare, eine Tapirkinnlade, vom Bratrost und warf sie ihnen hin mit den Worten:
„Da habt ihr zu essen!“ Aber das bißchen reichte den Kindern nicht. Dennoch
nahm der älteste Sohn das Angebotene und gab jedem seiner jüngeren Brüder ein
Stück davon. Jeder nahm sein Stück und verzehrte es. Dann sprach der älteste
Bruder: „Gut, meine Brüderchen, wir wollen zum Himmel gehen, um Sterne zu
sein!“ Er packte darauf seine kleinen Brüder unter seine beiden Arme, und sie
tanzten und sangen: „Laßt uns gehen zum Onkel Uere! Laßt uns gehen zum Onkel
Uere! Uere!“ Und tanzend stiegen sie empor und entfernten sich. Die Mutter kam
heraus, blickte ihnen nach und sah, wie sie davongingen. “Ach, meine Söhne, wohin
geht ihr? Hier ist noch etwas Speise für euch!“ Sie antworteten nur: „Es ist
umsonst, unsere Mutter! Bleibe da! Wir gehen jetzt zum Himmel, um bei unserem
Onkel zu wohnen und Sterne zu sein!“ So zogen sie tanzend in Kreisen wie die
Aasgeier dahin und stiegen höher und höher, bis sie zum Himmel kamen.
Essen und seinen
Weg gehen muß der Mensch, um gestärkt und lebenserfahren in eigener Schönheit
leuchten zu können; er muss erkennen, was er bewirken kann, muß sich zwischen
Lust und Last ins menschliche Miteinander einfügen und mit den ihm gegebenen
Möglichkeiten nach schöner Vollendung des Wirklichen streben.
Seit der Mensch
im Rahmen des unendlichen Stirb und Werde der Wirklichkeit befähigt wurde, sich
selbst zu erkennen, stellt er die Frage, warum denn alles so ist, wie es ist
und ob es so sein muss, soll und darf. Daß alles unendlich vielgestaltig sein
kann, erlebt ein jeder alltäglich, ebenso sind auch die Wege auf der Suche nach
Antworten überaus mannigfaltig.
Besonders
eigenartig wurde und wird zum Teil bis heute in Mysteriengemeinschaften
gesucht. Es handelt sich hierbei um menschliche Versuche, über das empirisch
Weltliche, also das sinnlich Wahrnehmbare und rational Denkbare, immer aber irgendwie
Begrenzte hinauszuschreiten und, wenn das möglich sein sollte, das Transempirische
im Empirischen aufzufangen.
Aus
philosophischer Sicht entwickeln die Mysterien eine Metaphysik, welche die
Grundlagen der logischen Denkgesetze nicht als letzte Gültigkeit anerkennen.
Zur Magie werden sie, wenn sie mit Hilfe metaphysischer Spekulationen oder
unlogischer Experimente aus den Sachbezügen einer nur rationalen Technik
hinausschreiten. Oder sie entwickeln neben oder auch gegenüber dem Denken auf
der Basis von Anschauung und Gefühl für das Universum das eigentliche Phänomen
der Religion.
Wer aber hat
Recht, welchen Lehrpfad sollte der nach Wahrheit Suchende nehmen? Der Christ Lessing
lässt dem Juden Nathan Saladin, dem Moslem auf dessen Frage, welche denn die
einzig wahre aller Religionen sei, die uralte Ringparabel erzählen, in welcher
der angerufene Richter zu dem Schluß kommt:
“ Wohlan! Es
eifre jeder seiner unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe
von euch jeder um die Wette die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag zu
legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit
Wohl tun, mit innigster Ergebenheit in Gott, zu Hülf! Und wenn sich dann der
Steine Kräfte bei euren Kindes – Kindeskindern äußern: So lad ich über tausend
tausend Jahre, sie wiederum vor diesen Stuhl.“
Und sie haben
sich auf einen langen Weg begeben, die Kinder des Prometheus, die Nachkommen
von Adam und Eva oder eben der sich aus dem Tierreich erhebende Homo sapiens
rezens, die Suchenden also, die nach Befriedigung strebenden und stets auf ein
Besseres hoffenden Menschen. Heute singen sie gelegentlich: “Wachet auf
Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt! Das Recht wie
Glut im Kraterherde nun mit Macht zum Durchbruch dringt. Reinen Tisch macht mit
den Bedrängern, Heer der Sklaven wachtet auf! Ein Nichts zu sein, tragt es
nicht länger, alles zu werden strömt zu Hauf!”
Im Zusammenwirken
mit unseres Gleichen im besonderen und der gesamten Wirklichkeit im allgemeinen
sind wir Menschen in der Lage, unsere biotischen und psychischen Eigenarten zu
entfalten, unsere wesentlichen Bedürfnisse befriedigend, Veränderungen in der
Welt zu verursachen und die Wirklichkeit begreifend und darum selbstbewusst
handelnd das sich dialektisch in Raum und Zeit bewegende Sein zu bewahren. Um
dabei sinnvoll und Gerecht handeln zu können, brauchen wir die Moral. Die
Geschichte der menschlichen Gesellschaft belegt dies tagtäglich und eindeutig.
Im Jahre 1856
wurden in einer Felsgrotte des Neanderthals bei Düsseldorf Skelettreste eines
Menschen gefunden. Die Knochenfunde kamen in die Hände des aus dem Eichsfeld
stammenden Gymnasialprofessors Fuhlrott, der Aufgrund ihres urtümlichen Aussehens
und ihrer Lagerung in unberührtem Höhlenlehm zu der Überzeugung gelangte, dass
sie aus der vorhistorischen Zeit, wahrscheinlich aus der damals so genannten
„Diluvialperiode“ stammen und daher einem, wie es Fuhlrott beschrieb „urtypischen
Individuum unseres Geschlechts einstens angehört“ haben.
Durch weitere,
erdgeschichtlich zweifelsfrei einzuordnende Funde von urtümlichen
Menschenresten und Steingeräten wurde es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zur
unumstößlichen Gewissheit, dass die Entwicklungsgeschichte des Menschen weit in
das Eiszeitalter zurückreicht. Der Neanderthal-Fund erwies sich dabei als
verhältnismäßig jung, denn er stammt erst aus der Frühphase der jüngsten Eiszeit,
die vor etwa 80 000 Jahren begann. Höhlenmalereien und Ausgrabungen belegen
unter anderem auch, daß sich die Menschen schon in diesen uralten Zeiten mit
Sinn und Moral ihres Daseins beschäftigten.
Die Entstehung
des Lebens auf der Erde, einschließlich der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft,
aus der nicht lebenden Natur gilt heute als wissenschaftlich nachgewiesen.
Sowohl die
erbringenden und bewahrenden als auch die zerstörerischen, beendenden, bemängelnden,
zerteilenden, zerlegenden Richtungen menschlichen Wirkens sind uralt und haben,
wie es auch die gegenwärtigen Verhältnisse des gesellschaftlichen Zusammenlebens
der Menschen zeigen, die Menschheitsgeschichte deutlich geprägt.
So auch im alten
China, für das der von den Europäern so genannte Konfuzius feststellte, daß man
lernen solle, „den rechten Weg einzuschlagen“ und ihn „voll Vertauen, treu bis
an sein Ende“ zu gehen. Und er empfiehlt, „nicht ein Land“ zu betreten, „in dem
unsichere Verhältnisse herrschen“ und „nicht in einem Staat“ zu bleiben, worin
Unordnung ist.“ Herrsche „Ordnung in der Welt, dann“ solle „man sich hervortun,
andernfalls“ solle man sich zurückhalten, und gehe „ein Staat den rechten Weg
und herrscht darin Ordnung, so“ sei „es beschämend, wenn man arm und von
geringem Ansehen“ sei. Gehe es hingegen „in einem Staat nicht rechtens zu“,
dann sei es „eine Schande, reich und angesehen zu sein.”
Arm und reich,
besitzend, ausgebeutet oder frei, geborgen oder verfolgt, gekauft und
vereinnahmt, kreativ und schöpferisch, gequält oder glücklich und vieles mehr
können Menschen sein und werden. Auch jedes einzelne Menschenleben durchläuft eine
Vielzahl solcher Zustände, gleichzeitig oder chronologisch, einsam oder gemeinsam,
der Mensch wird geprägt und prägt wiederum in sozialer Gemeinschaft.
“Die Geschichte
aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und
Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell,
kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen im steten Gegensatz zueinander,
führten einen ununterbrochenen, bald versteckten bald offenen Kampf, einen
Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft
endete, oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“, stellen
Karl Marx und Friedrich Engels im MANIFEST DER KOMMUNISTISCHEN PARTEI fest und
weiter, „in den früheren Epochen der Geschichte finden wir fast überall eine
vollständige Gliederung der Gesellschaft in verschiedene Stände, eine
mannichfaltige Abstufung der gesellschaftlichen Stellungen.“ Im alten Rom seien
das „Patrizier, Ritter, Plebejer, Sklaven; im Mittelalter Feudalherren, Vasallen,
Zunftbürger, Gesellen, Leibeigene, und noch dazu in fast jeder dieser Klassen
wieder besondere Abstufungen.“ Ob durch die Geschichtsschreibung besonders
hervorgehoben oder den Alltag der Menschen betreffend, das Menschenleben wird
immer vom Handeln des Einzelnen im Mit- und Gegeneinander vieler bestimmt.
Petronius, einer
der großen römischen Dichter, beschreibt in seinem SATIRICON, wie es sich im
Rom seiner Zeit lebte: “Während wir noch staunten kam Menelaus“ und eröffnete
uns, indem er auf jemanden zeigte, daß dies der Mann sei, bei dem wir speisen
würden. Und weiter sagte Menelaus in Petronius‘ Werk: „Hier seht ihr bereits
das Vorspiel des Gastmals“ und er „hatte noch nicht ausgeredet, als Trimalchio
mit den Fingern schnipste. Auf dieses Zeichen hielt ihm der Verschnittene, ohne
das Trimalchio das Spiel unterbrach, den Topf hin. Er entleerte seine Blase,
forderte Wasser zum Händewaschen, tauchte aber kaum die Fingerspitzen ein und
trocknete sie an den Haaren eines der jungen Sklaven.“ Nach kurzem Aufenthalt
im Schwitzbad gingen die Akteure dieser Erzählung „in die Baderäume, und
kühlten“ sich „sofort im kalten Wasser ab, denn Trimalchio, der von Salböl
triefte, ließ sich bereits abreiben, natürlich nicht mit Leinen, sondern mit
feinsten Wolltüchern.“ Später ließ sich Trimalchio „in einen scharlachroten
Mantel hüllen und in seine Sänfte heben. Voraus gingen vier mit prächtigem
Schmuck behängte Läufer, die einen kleinen Wagen zogen“, in diesem saß
„Trimalchios Augapfel, ein schon älterer, triefäugiger Sklave, der noch
hässlicher war als sein Herr.“ Der Zug setzte sich in Bewegung und es „trat ein
Musiker mit einer winzig kleinen Flöte neben Trimalchio“, der während des
gesamten Weges „diesem seine Melodien ins Ohr blies, „als habe er ihm heimlich
etwas zuzuflüstern.“ Der ich – Erzähler und sein Freund bewunderten diesen
„Trimalchio“ sehr und sie gingen dem kuriosen Zug hinterdrein, dem gastlichen
Hause zu. An der Haustür war eine Tafel angebracht, auf der zu lesen war:
„Jeder Sklave, der ohne Erlaubnis des Herrn das Haus verlässt, wird mit hundert
Rutenstreichen bestraft.”
Auch Sueton, der
Biograph der frühen Kaiser Roms, beschreibt die Lebensart im antiken Rom. So
auch wie Gajus Caesar, Sohn des Germanicus, genannt Caligula, als römischer
Kaiser seine Umgebung und Zeit auf seine ihm eigene Weise prägte. “Selbst in
den Stunden der Erholung, des Spiels und des Mahls verließ ihn die Grausamkeit
der Reden und Handlungen nicht. Oft wurden, wenn er frühstückte oder ein Gelage
hielt, unter seinen Augen in allem Ernst peinliche Verhöre mit Anwendung der Folter
angestellt oder musste ein Soldat, der im Köpfen Meister war, irgendwelchen
Gefangenen die Köpfe abschlagen.”
Mit Macht lässt
sich das Zusammenleben der Menschen zum allgemeinen Wohle ordnen, leicht kann
sie aber auch missbraucht werden.
Häufig berichten
weniger von Historikern belegte Tatsachen der Vergangenheit als Sagen, Geschichten
oder Märchen vom Leben früherer Generationen.
„Der Falke, den
du dir aufzogst, bedeutet einen edlen Mann. Aber wenn Gott ihn nicht behütet,
wirst du ihn wieder verlieren”, deutet Frau Ute einen Traum ihrer königlichen
Tochter, und Kriemhild antwortet ihr: “Was sagst du mir da von einem Mann,
liebe Mutter! Von Liebe will ich nichts wissen, sondern so bleiben, wie ich
bin. Dann werde ich nicht in Not geraten!“
Die Liebe in
ihrer ganzen Bedeutung hat die Menschen seit eh und je beflügelt und zum
Handeln motiviert. Das ist auch im NIBELUNGENLIED so, von dem es an die dreißig
Handschriften gibt, die meist aus dem 13. Jahrhundert nach christlicher Zeitrechnung
stammen. Aus alten Chroniken wissen wir, daß dieses bis ins 16. Jahrhundert
hinein im Volke gelebt und wie auch später, nach seiner Wiederentdeckung und
seitdem bis heute, Möglichkeiten und Grenzen verfestigter Moralvorstellungen vermittelt
hat.
Ereignisse und
Gestalten der Völkerwanderungszeit werden im Nibelungenlied oft an den Beginn
des dreizehnten Jahrhunderts übertragen, also in die Zeit mit ihrer höfischen
Verfeinerung, in welcher die Verfasser der schriftlichen Überlieferungen dieses
Heldenepos lebten. Neu und dem höfischen Standesgefühl dieser Zeit entsprechend
ist nun im Vergleich zur Völkerwanderungszeit, der gesellschaftliche Abstand
zwischen Lehnsherrn und Lehnsmann. So hält es Siegfried in der bekanntesten Niederschrift
der Sage für unter seiner Würde mit Ortwin von Metz zu kämpfen, weil dieser ein
Lehnsmann sei. Oder am Hofe Etzels, des Hunnenkönigs, schilt Dietrich von Bern,
der in Theoderich dem Großen, einem Gotenkönig, wahrscheinlich sein historisches
Vorbild hat, den greisen Waffenmeister Hildebrand wie einen Schuljungen, weil
dieser den Befehl seines Herrn, sich vom Kampf mit den Burgunden fern zu halten,
nicht ausgeführt hatte. Die sagenhafte Geschichte endet schrecklich. Obwohl
alle Akteure entsprechend ihrer Moralvorstellungen handelten, gab es kaum Überlebende.
War es
tatsächlich finsterer im so genannten Mittelalter als in späterer Zeit oder der
Gegenwart? Normen menschlichen Zusammenlebens, Gebote und Verhaltensregeln sind
wandelbar, müssen konkretisiert und interpretiert werden, besonders in Zeiten
des gesellschaftlichen Umbruchs. Auch die Zeit der Renaissance belegt dies auf
ihre besondere Weise.
In dieser alles
umwälzenden Epoche zeigt sich deutlich, daß dem Menschen der Mensch das Maß
aller Dinge und er somit, als physische Erscheinung und als körperlicher
Begriff, die selbstverständliche Voraussetzung der Moral ist. In der Renaissance
haben die Anschauungen und Ideale hinsichtlich des menschlich Körperlichen den
Vorrang vor allem anderen. Dieser Ausgangspunkt ist für diese Zeit noch mehr geboten
als für jedes andere Zeitalter, weil hier für das damalige Europa eine völlig
neue Menschengemeinschaft entstand. Besonders in schöpferischen Zeiten ist
alles von Sinnlichkeit gesättigt. So war auch die Renaissance trotz der vielen
entgegengesetzten Tendenzen, von denen sie durchkreuzt war, davon geprägt.
Jede Zeit und
jede Gesellschaft ideologisiert sich. Und zwar in ihren sämtlichen geistigen
Offenbarungsformen, sie ideologisiert sich in ihrer Philosophie, in ihrer Wissenschaft,
in ihren Rechtssystemen, in ihrer Literatur, ihrer Kunst, ihren Lebensregeln.
Das geschieht, indem sie bestimmte Gesetze der Schönheit und der Vollendung aufstellt
und dadurch etwas konstruiert, das zum Ideal erhoben wird. Sämtliche Ideologien
einer Zeit sind von deren Wesen abhängig, denn diese sind nichts anderes als
die besonderen Lebensgesetze und Lebensinteressen der Haupttendenz eines Zeitalters,
sie können um so großartiger und kühner sein, je gewaltiger der Sieg der
Menschheit ist, den eine Epoche darstellt, und je umfangreicher die Möglichkeiten
sind, die sich der Zeit dadurch aufgetan haben.
Zur Moralität des
Mittelalters trat die überall den nationalen Rahmen sprengende und eine Massenkultur
entwickelnde Renaissance in einen strikten Gegensatz. Sie holte den Himmel auf
die Erde herunter und entkleidete die Dinge ihres mystischen Charakters. Die
Renaissance baute sich auf den Welthandel auf, mit ihr begann das Zeitalter der
Entdeckungen. Sie entriss den Menschen dem Jenseits, dessen Eigentum er bisher
gewesen war, und machte ihn sich selbst zu eigen, jeder wurde entweder als
Käufer oder Verkäufer ein wertvolles Objekt. Der Mensch rückte damit in den
Mittelpunkt der Erscheinungswelt, als physischer Begriff und nicht bloß als
erbärmliche Hülle einer unsterblichen Seele, die er im Mittelalter gewesen war.
Das Objekt Mensch wurde zum Subjekt.
Niemals waren die
überirdischen Schattengestalten der mittelalterlichen Heiligenbilder lebendig,
aber auch nie die im entgegengesetzten Sinne überirdischen, von Rubens gemalten
Heroengeschlechter, der in seinen Werken die Ideologie des der Renaissance
folgenden Zeitalters darstellte. So kann festgestellt werden, daß sich die
Vorstellungen, die wir Menschen von der Sinnhaftigkeit unseres Daseins haben,
ständig ändern und dem jeweiligen gesellschaftlichen Sein entsprechen.
Wie alles Seiende
kann auch der Mensch als gesellschaftliches Wesen nur in Bewegung bestehen, er
muss beraten und begreifen, bemängeln und befriedigen, beenden und bewahren. So
entwickelt er sich, geht er an die Erfüllung seiner Bestimmung, überall dort wo
es ihn gibt.
Während in Europa
die später so genannte Renaissance begann sich aus dem Mittelalter heraus zu
prozessieren, entstanden in Japan Schriften buddhistischer Weisheiten zur
Moralität asiatischer Lebensweise. Kenko Hoshi, der von 1283 bis 1350 lebte,
schreibt in der Schrift TSURETSURE-GUSA, daß Menschen das Leben doch nur
liebten, weil es ungewiß sei und da man gar sehr am Leben hänge, „so wären
tausend Jahre nur wie der Traum einer Nacht.“ Wozu aber sollten wir, die
Menschen, „in dieser flüchtigen Welt unser mäßiges Bild zurücklasse“, je länger
man lebe, desto mehr schäme man sich seines Lebens. Man müsse „vor seinem
vierzigsten Jahr sterben, zu höchsten“, danach sei man nicht mehr „hochsinnig
genug, sich seiner Häßlichkeit zu schämen“, vielmehr wolle man „überall obenan
sein“, man protze „mit seinen Kindern und Enkeln“, man wünsche „möglichst auch
deren Erfolge noch zu genießen.“ Kurzum, man werde „gierig nach allem, man
denkt nicht mehr, wie traurig die Welt ist. Man wird verächtlich.”
Gesellschaftliches Sein ist in ständiger
Wandlung begriffen. Das neue Menschenbild der Renaissance hat nicht etwa den Himmel
auf Erden hervorgebracht, Reformation und Gegenreformation gipfelten vielmehr
in dem bis dahin schlimmsten aller Kriege, dem Dreißigjärigen. Besonders auf
dem Boden des damaligen „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ wütete
die Soldateska sowohl der christlich protestantischen als auch der christlich
katholischen Heere aus Glaubensgründen gegeneinander, wobei sie sich und
besonders auch das sogenannte gemeine Volk oft bestialisch zerfleischten.
Im Jahre 1634
überfielen und plünderten kaiserliche Truppen die Stadt Gelnhausen und nahmen
den Knaben Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen als Pferdejungen mit.
Später, als erfolgreicher Schriftsteller, ließ dieser seine von autobiographischen
Zügen geprägte Romanfigur SIMPLICISSIMUS über dessen Leben resümieren und das
gesellschaftliche Sein rückblickend kritisch bewerten.
Unter anderem
stellt dieser ernüchternd fest, daß er nun, am Ende seines Lebens „arm an Gut“
sei, und weiter, „mein Herz ist beschwert mit Sorgen, zu allem Guten bin ich
faul, träg und verderbt, und was das allerelendste, so ist mein Gewissen ängstig
und beschwert, du selbsten aber bist mit vielen Sünden überhäuft und abscheulich
besudelt!“ Und darum verabschiedet sich der Romanheld enttäuscht von dieser
Welt: „Adieu Welt! dann du nimmst uns gefangen und läßt uns nicht wieder ledig;
du bindest uns und lösest uns nicht wieder auf; du betrübest und tröstest nit;
du raubest und gibst uns nicht wieder; du verklagst uns und hast keine Ursach;
du verurteilst und hörest keine Partei, also daß du uns tötest ohne Urteil und
begräbest uns ohne Sterben!“ In dieser Welt sei „keine Freud ohne Kummer, kein
Fried ohne Uneinigkeit, keine lieb ohne Argwohn, keine Ruhe ohne Forcht, keine
Fülle ohne Mangel, kein Ehr ohne Makel, kein Gut ohne bös Gewissen, kein Stand
ohne Klag und keine Freundschaft ohne Falschheit.“
Als konkretes
Individuum kann der Mensch nur in Gesellschaft wirksam werden, leidenschaftlich
motiviert strebt er stets nach Erkenntnis, Besitz und Macht. Es steht ihm frei,
sein Streben sinnvoll oder gleichgültig zu gestalten. Gebote, Gesetze und
Bräuche bestimmen die Spielräume menschlichen Zusammenlebens, sie müssen
gebraucht und gebrochen werden.
Weil sich alles
Seiende aus verursachender Widersprüchlichkeit entwickelt, kann es ein Voran
der menschlichen Gesellschaft auch nur geben, wenn sich immer wieder Einzelne
aus der Menge erheben, um Widersprüche zu verdeutlichen, auf daß sie bewußt
gelöst werden können. Eliten sind die Lokomotionsorgane der Ganzheit.
So gehörten
Voltaire, Diderot, Rousseau und andere zur geistigen Elite des feudalabsolutistischen
Frankreichs. Sie ermöglichten durch ihr Wirken unter anderem, daß am 26. August
1789 von der französischen Nationalversammlung eine Erklärung der Menschen- und
Bürgerrechte verabschiedet werden konnte. Darin heißt es unter anderem: “Die
Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten. Soziale
Unterschiede dürfen nur im gemeinen Nutzen begründet sein. Das Ziel jeder politischen
Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte.
Diese Rechte sind Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen
Unterdrückung. Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen
nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen
nur Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen
Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetze festgelegt werden.”
Vieles war den
Menschen in ihrem Mit- und Gegeneinander geschehen, bevor sie solche Ideale formulieren
konnten. Vom Leben in Frankreich zur Zeit Ludwig XIV. läßt sich diesbezüglich
folgendes anmerken: Noch 1661, im Moment der Regierungsübernahme, fällte der
„Sonnenkönig“, wie Ludwig XIV. sich selbst nannte, eine weitreichende
Entscheidung, die Anweisung zum Bau des Schlosses von Versailles. Das Schloß
der Schlösser wurde zum Syndrom für seine Herrschaft und seinen Hof. Die politische
Absicht dieses gigantischen und bald ganz Europa faszinierenden Vorhabens
bestand darin, dem frondierenden Adel endgültig Fesseln anzulegen und seine
Zähmung zum Hofadel in die Wege zu leiten. Ludwig XIV. ist die Symbolgestalt
des klassischen Absolutismus und höfischer Barockkultur. Bis in die Gegenwart
wirkt die Faszination seiner Zeit, von Voltaire als „Jahrhundert Ludwigs XIV.“
bezeichnet. Sie zeigt Frankreich im Zenit seiner politischen, militärischen und
kulturellen Leistungen und den Hof von Versailles als Modell höfischen Lebens
und höfischer Kultur schlechthin.
Doch wer genoß
den Glanz, wer schuf ihn, wer bezahlte dafür mit Armut und stetigen Opfern? Am
Hofe von Versailles wurde das Leben der Herrschenden sichtbar. Der König stand
absolut im Mittelpunkt allen Treibens, bei der Arbeit und beim Vergnügen nach
strengstem Zeremoniell vom Erwachen bis zur Bettruhe. Das Treiben vor und in
den Boudoirs war überaus luxuriös und unglaublich ausschweifend. Minister,
Marschälle und Mätressen, Künstler und Literaten, die Diener der Macht, waren
gleichzeitig Sieger und Verlierer im riskanten Spiel um die Gunst des großen
Königs.
Das zahllose Heer
der Domestiken, dazu Tausende von Handwerkern und Arbeitern, die über Generationen
ihren Fleiß und ihre Kreativität zum Ruhme des Königs gaben, führten ein
erbärmliches Leben. Der Anspruch des selbstherrlichen Despoten auf unbegrenzte,
göttlich sanktionierte Macht war gepaart mit härtester Intoleranz gegen
Widerspenstige. Dazu kam eine das Land auszehrende Folge von Kriegen.
Viele Deutungen
läßt die Sonne als Symbol der Herrschaft Ludwigs XIV. zu: der strahlende, in
seiner unbegrenzten Macht allen unerreichbare Monarch, ein Gott des Krieges
aber auch und nicht zuletzt der große Inspirator, Schirmherr und Förderer aller
schönen Künste.
Schon während
sich der Absolutismus als Staats- und Regierungsform besonders in europäischen
Ländern etablierte, sammelten sich Denker, Suchende, Philosophen, Aufklärer in
freien Städten, an Universitäten, an Höfen toleranter Fürsten, in Geheimbünden
oder Clubs, um Gedanken auszutauschen, Erfahrungen zu sammeln, die Dinge des
Lebens zu ergründen.
Führende
Vertreter der europäischen Aufklärung waren unter anderem die Philosophen
Francis Bacon, Thomas Hobbes und John Locke in England, Pierre Gassendi, Rene
Descartes und Pierre Bayle in Frankreich und Baruch Spinoza in den Niederlanden.
Ihre Werke bildeten die ideologische Grundlage für das Wirken deutscher
Aufklärungsphilosophen wie Samuel Pufendorf, Gottfried Arnold, Christian Thomasius,
Gottfried Wilhelm Leibnitz, Christian Wolff, Johann Christian Edelmann, Emanuel
Kant.
Die
Aufklärungsbewegung strebte sowohl behutsame Reformen als auch revolutionäre
Umwälzungen in der Gesellschaft an. Als Sohn eines Pfarrers 1742 in Oberramstadt
geboren, wurde Georg Christoph Lichtenberg bereits mit 28 Jahren Professor der
Mathematik und Naturwissenschaften in Göttingen. Lichtenbergs bis heute
dauernder Ruhm gründet sich auf seine Aphorismen, die sich durch ihren tiefen
psychologischen Gehalt, ihren Witz und ihre treffsicheren Formulierungen
auszeichnen. Über die Obersten unter den Menschen seiner Zeit bemerkte er, kein
Fürst könne „jemals den Wert eines Mannes durch seine Gunst bestimmen“, denn es
sei „Schluß, der nicht auf eine einzige Erfahrung etwa gegründet“ sei, „daß ein
Regent meistens ein schlechter Mann ist.“
Der Mensch kann
nur moralisch bestehen, ob als Einzelner oder in der Gesellschaft.
Vollkommenheit und Gerechtigkeit können immer nur in der Tendenz angestrebt
werden, denn nur zwischen dialektischem Sein und Nichtsein, erhebenden und zerstörenden
Bewegungen ist Leben und Menschlichkeit möglich. Bedürfnisse können nur
befriedigt werden, wenn auch der Mangel bekannt ist, in Bewahren oder Beenden
münden gewollte oder sich ergebende Veränderungen, die Wahrheit und der Schein
werden verinnerlicht und reflektiert.
Geschehnisse, die
durch leidenschaftliches Begehren der Menschen nach Macht, Erkenntnis und
Besitz eintreten, sollten nach Ludwigs XIV. Zeit noch des öfteren mit dem Namen
Versailles in Verbindung stehen, so die beiden Weltkriege, wenn diese auch von
deutschem Boden aus ihren verhängnisvollen Lauf nahmen.
Die Geschichte
der Menschheit ist wesentlich vom Willen zum Wissen, zur Macht und zur Arbeit geprägt.
Immer geht es im Zusammenleben der Menschen um die Verhältnismäßigkeit von
Recht, Pflicht und Verdienst und um die das menschliche Handeln seit eh und je
bestimmende Leidenschaftlichkeit. Immer haben wir es mit den großen
Äußerungsformen der menschlichen Natur zu tun, mit dem Ausdruck des
Verhältnisses von Identität und Differenz, das wir untereinander eingehen.
Heutzutage finden
auch ehemals unterdrückte Leidenschaften relativ freien Ausdruck. Jeder strebt
offen nach Macht und drückt damit seinen Stolz und seine Eitelkeit aus, während
das „Immer-mehr“ seine Differenzen zu den anderen, die dasselbe tun,
unterstreicht. Ebenso verhält es sich mit dem Geld. Jeder will welches, will
nach Möglichkeit immer mehr davon, als könnte er dadurch seinen eigenen Wert
vorweisen. Was die Erkenntnis und ihre Früchte betrifft, so ist diese letztlich
eine Metamorphose des Begehrens, seine Verwandlung in reines Wissen. Die
Leidenschaftlichkeit der Menschen kann sowohl in bewahren oder beenden, in
begreifen oder erraten, in befriedigen oder bemängeln münden.
Heute, zu Beginn
des einundzwanzigsten Jahrhunderts ist die Welt kaum noch geheimnisvoll, alle
Länder sind erforscht, die fernsten Meere zerpflügt. Landschaften mit ihren
natürlichen Gegebenheiten und Eigenarten, die vor gar nicht so langer Zeit noch kaum bekannt oder erkundet waren, dienen
nun dem Bedarf der Weltgesellschaft. Der Mensch kennt seinen Lebensraum Erde
von innen und außen. Der forschende Wille der Menschen sucht stets neue Wege,
ob hinab zur phantastischen Fauna der Tiefsee oder empor in das unendliche All.
Der Mensch will
alle Wahrheit wissen, er will verwirklichen und wenn es sein muß auch mit
Gewalt erringen, was er über viele Jahrhunderte bisher nicht zu erreichen
vermochten. Dem Mut des Einzelnen gesellt sich dabei die Rivalität der Nationen.
Zu Beginn des
einundzwanzigsten Jahrhunderts hat die Menschheit unvorstellbare
Vernichtungsfeldzüge gegen sich selbst und ihren Heimatstern leider immer noch
nicht hinter sich gelassen, obwohl doch schon so viel Fortschrittliches
erreicht wurde. Der Mensch ist einerseits zur „unbefleckten“, geschlechtslosen
Empfängnis, dem klonen menschlicher Zellen in der Lage und kann sich
mikroelektronisch eine nie da gewesene virtuelle Welt erschaffen und andererseits
sind groß angelegte Versuche, menschenwürdige Verhältnisse zu schaffen,
gescheitert oder können sich zumindest nicht als dominierende gesellschaftliche
Wirklichkeit durchsetzen.
Der Kapitalismus
hat bekanntlich seine großen Krisen. „Aber muß das sein und ausgerechnet
jetzt“, so oder ähnlich fragen sich immer einmal wieder und immer häufiger die
Bewohner der hochentwickelten Länder der kapitalistischen Welt. Die anderen,
und zwar der Großteil der heute Lebenden, merken das nicht so, deren
Lebensalltag ist sowieso überwiegend mehr als kritisch. Aber eben die Ersteren
von Konsumterror, Medienmanipulation und manchem „Tropfen sozialen Öls“
Eingelullten, stellen in ihrer Naivität in solchen Zeiten fest, daß man so ganz
unvorbereitet nur hoffen kann, daß es weiterhin Fußpflege und Schweinebraten,
Reihenhaus und Blinddarmoperation, Hundefutter und die volkstümliche Hitparade
gibt und ob die nächste Straßenbahn und vor allem das Gas aus Rußland und das
Wasser aus der Leitung auch weiterhin kommen. In Krisenzeiten sei schließlich
gar nichts mehr sicher, denn in dieser Welt könne es doch nur Dinge geben, die
finanzierbar sind, und finanzierbar sei nur, was der Kapitalverwertung diene
oder daraus abgezwackt werde. (Und
keiner will’s ändern!)
Hat sich denn
„der Mut und die Fähigkeit, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“, bei
einem so großen Teil der Menschen immer noch nicht eingestellt?“ Prägen
„Faulheit und Feigheit“ immer noch die Gemüter so vieler Menschen, daß sie,
obwohl sie „die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen“ hat, „dennoch
gern Zeitlebens unmündig bleiben“, würde Emanuel Kant zu recht schelten.
Die Ursachen für
soviel Selbstverlogenheit, Selbstgefälligkeit und ohnmächtig aussichtsloser
Lethargie liegen unter anderem auch an den Teils lächerlichen, häufiger aber
leider auch unmenschlichen Machenschaften verblichener, scheinbar sozialistisch
– kommunistischer Diktaturen.
Nahezu
hellseherisch hat Fedor Michailovitsch Dostojewski in seiner Schrift DER
GROSSINQUISITOR WEIST DEN WIEDERKEHRENDEN CHRISTUS ZURÜCK die Einseitigkeit
auch der eben dadurch zum Scheitern verurteilten sozialistischen Gesellschaftsstrategien
beschrieben, die lange nach seinem Tode und von seiner Heimat ausgehend die
Welt eigentlich auf den Weg in wahrhaft humanistische Höhen führen wollten.
Er läßt den
Großinquisitor fragen, warum Christus in seine Gegenwart gekommen sei: „… um
zu stören? … Zürnst Du mir dafür, daß ich Deine Liebe nicht will, weil ich
Dich selber nicht liebe?“ Schon lange seien der Klerus und die Inquisitoren
nicht mit dem Eindringling, dem Sohn Gottes, „sondern mit IHM“ verbündet. „Wir
haben aus seiner Hand Rom und das Schwert Cäsars empfangen und uns als die
Herren der Erde erklärt, die einzigen, wenn auch unser Werk bis jetzt noch
nicht zu Ende geführt ist.“ Und der Großinquisitor belehrt den zurückgekehrten
Christus weiter, „oh, unser Werk ist noch in seinen Anfängen, aber es hat
begonnen; noch lange müssen wir auf dessen Vollendung warten, und noch viel
Leiden wird auf der Erde sein, aber wir werden es vollenden und die Herren der
Erde sein, und dann erst wird die Zeit gekommen sein, daß wir an das
allgemeine, ewige Glück der Menschen denken.“ Warum habe er das letzte Geschenk
des Satans zurückgewiesen, stellt der Inquisitor die nächste Frage und wirft
dem immer noch still zuhörenden Christus vor, “wärest Du damals SEINEM Rate gefolgt,
so würdest Du alles gehabt haben, wonach den Menschen auf Erden verlangt: den
Gott, den er anbeten, den Herrn, dem er sein Gewissen übergeben will, und den
Weg und die Weise, wie sich die ganze Menschheit endgültig zu einem einzigen,
einträchtigen Ameisenhaufen vereinen kann“, so würden schließlich alle Menschen
„bei uns“, den Inquisitoren, „glücklich sein, alle ohne Unterschied, und es
wird keine Empörung mehr unter den Menschen herrschen, und sie werden sich
nicht mehr gegenseitig das Messer in den Leib stoßen, wie sie es in Deinem
freien Reich immer getan haben.“ Die Inquisitoren würden die Menschen „davon
überzeugen, daß sie nur dann frei sein können, wenn sie sich von ihrer Freiheit
zu“, der Inquisitoren, „Gunsten lossagen und sich“ ihnen „ergeben“ würden.
Zwischen gut und
schlecht im gesellschaftlichen Werdegang der Menschen gab und gibt es viele
Empörer. „Ihr seid das Salz der Erde“, sagt Jesus, energisch Widersachern
widersprechend, den Hörern seiner Bergpredigt, und er meinte damit die treibenden
Kräfte des Salzes beziehungsweise der Menschen und deren Vermögen sich
einzubauen in neue Qualitäten bei der Überbrückung von Widersprüchen.
Im MANIFEST DER
KOMMUNISTISCHEN PARTEI stellten Marx und Engels das Wohl und Wehe der
bürgerlichen Gesellschaft dar, sie schreiben: “… immer wuchsen die Märkte,
immer stieg der Bedarf. Auch die Manufaktur reichte nicht mehr aus. Da revolutionierten
der Dampf und die Maschinerie die industrielle Produktion. An die Stelle der
Manufaktur trat die moderne große Industrie, an die Stelle des industriellen
Mittelstandes traten die industriellen Millionäre, die Chefs ganzer industriellen
Armeen, die moderne Bourgeoisie“, und diese habe in der Geschichte eine „höchst
revolutionäre Rolle gespielt.“ Wo sie zur Herrschaft gekommen sei, seien „alle
feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört.“ Sie, die Bourgeoisie,
habe „die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen
Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen, und kein anderes Band zwischen
Mensch und Mensch übrig gelassen, als das nackte Interesse, als die gefühllose
bare Zahlung.“ Sie habe „die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der
ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser
egoistischer Berechnung ertränkt.“ Sie habe „die persönliche Würde in den
Tauschwert aufgelöst, und an die Stelle der zahllosen verbrieften Freiheiten
die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt.“ Sie habe „mit einem Wort, an
die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung
die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.“ Die Bourgeoisie
habe “alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten
ihres Heiligenscheins entkleidet.“ Sie habe „den Arzt, den Juristen, den
Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter
verwandelt.“ Und sie habe „dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen
Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt.”
Als die Nachahmer
der Empörer Marx und Engels dem „doppelt freien Lohnarbeiter“ die „historische
Mission“ der Befreiung der Menschen von Ausbeutung und Unterdrückung
theoretisch aufbürdeten, hätten sie beachten sollen, daß Missionare und Inquisitoren
gleiche Ziele verfolgen.
Mehr als hundert
Jahre später wurden aus Empörern gegen die Diktatur des geldwerten Vorteils,
die sich als die Erben von Marx und Engels sahen und als die Avantgarde im
Kampf gegen Bourgeoisie, ungerechte Produktions- und Verteilungsverhältnisse
verstanden, selbsternannte „real-sozialistische“, bestenfalls auch wohlmeinende
Missionare und Inquisitoren.
Ein rein
materialistisch gegebenes Dasein des Weltganzen als unbestimmt zufällig
entstanden ansehend und dessen aus dimensionsloser Wahrhaftigkeit erklärbare
Sinnhaftigkeit nicht erkennend, scheiterten diese, weil sich die Menschen eben
nicht davon überzeugen ließen, daß sie angeblich „nur dann frei sein können,
wenn sie sich von ihrer Freiheit zu“ der Inquisitoren oder Missionaren „Gunsten
lossagen und sich“ ihnen „ergeben” würden.
Der Mensch ist
gleichzeitig ein biotisches, psychisches und gesellschaftliches Wesen. Er
konnte es werden, weil es ihm gegeben ist, sich selbst in seinem Innern und als
Glied der um und durch ihn seienden Welt erkennen zu können, weil er begreifen
kann, daß sein begrenztes irdisches Dasein nur im ständigen Bemühen zwischen
Lust und Leiden und im unermüdlichen Suchen nach Weisheit, Stärke und Schönheit
möglich ist.
Um menschlich
leben zu können, also vernehmen, verbrauchen und verändern zu wollen, muß dem
einzig vernunftbegabten Wesen Sinn, Bestimmung und Notwendigkeit für alle Mühen
und alle Freude an seinem raumzeitlichen Dasein deutlich werden, zur ererbten
tierisch instinktiven Lebenslust muss die bewusste Motivation bewahrend wirken
zu wollen, treten.
Menschlichkeit
wird aus ganz besonderen Bausteinen errichtet. Wolfgang Amadeus Mozart hatte
die Gabe, mittels seiner Musik das ihm wahrhaftig nicht fremde Menschsein
begreifbar zu vermitteln. Sarastro, den Priester eines Tempels der Menschlichkeit,
läßt er in seiner und Emanuel Schikaneders ZAUBERFLÖTE singen:
“In diesen
heil’gen Hallen, kennt man die Rache nicht. Und ist ein Mensch gefallen, führt
Liebe ihn zur Pflicht. Dann wandelt er an Freundes Hand vergnügt und froh ins
bessre Land.
In diesen
heil’gen Mauern, wo Mensch den Menschen liebt, kann kein Verräter lauern, weil
man dem Feind vergibt. Wen solche Lehren nicht erfreun, verdienet nicht ein
Mensch zu sein.”
Die Liebe ist es,
die Dostojewskis Gefangenen Christus den Inquisitor auf die blutleeren Lippen
küssen läßt, die den gefallenen Menschen zur Pflicht und so ins bessre,
erhaltene, erhobene, bewahrte Land führt, die den Menschen bei seiner Suche
nach unendlicher Wahrheit mit Normen und Geboten leitet, die ihn möglich macht.
3 Zum Schluss
Es sind die
Fragen des Alltags, die uns Menschen auf der Suche nach Antworten und
Lösungswegen zum Handeln motivieren, die uns zu konkreten Taten schreiten
lassen. Im täglichen Bemühen wollen wir Hoffnungen entsprechen und Ängste
überwinden.
Menschen sind biotische Wesen aus Fleisch und
Blut. Sie können aufrecht gehen und mit frei verfügbaren Händen arbeiten.
Wir Menschen wollen in freudevollem
Miteinander, erträglichem Gegeneinander und wohlwollendem Füreinander leben und
können so nur überleben.
Jeder Mensch kann in seinem Hirn Informationen
speichern, Erkenntnisse denkend und empfindend verarbeiten und Schlussfolgerungen
für sein Handeln ziehen, das er eigenwillig und eigenverantwortlich auszuführen
vermag. Wir Menschen haben eine Seele und wir haben Geist.
In alles umfassender Wahrheit ruht die
Information darüber, wie eine Wirklichkeit, also auch die menschliche,
entstehen kann. Jeder Mensch muss sich als ein zum Weltganzen gehörendes,
einmaliges Selbst erkennen, um sich für den Weg durchs Leben seine eigenen
Entwürfe machen und diese am dafür geeigneten Platz in Gesellschaft mit
Gleichgesinnten bearbeiten zu können.
So gestalten wir alle die Geschichte der
Menschheit, denn sie ist die Hinterlassenschaft des Alltagsgeschehens.
Nur wir Menschen können Vervollkommnung und
Schönheit erstreben und das wahrnehmbare Sein bewahren. Eine Welt, in der das
Glück des Einzelnen die Voraussetzung für das Glücklichsein aller ist, müssen
wir Menschen aber zuerst in uns selbst finden, um uns dementsprechend in der
uns wahrhaftig gegebenen und ermöglichenden Wirklichkeit einen würdigen
Wohnsitz errichten zu können.
Aus einem chaotischen Alles–Nichts wird im
sich ordnenden Etwas immer wieder neu irgendwann irgendwas hervorgebracht. Die
so entstandenen und entstehenden Dualsysteme, getragen von der dimensionslosen
alles umfassenden Wahrheit und der sich materiell manifestierenden
Wirklichkeit, haben das sich in Raum und Zeit entsprechend der Naturgesetze
bewegende, von uns Menschen im Bewußtsein begreifbare, materielle Sein informiert.
Die im chaotischen Alles-Nichts seiende, omnipotente
Urinformation ist die jedwedes wirklich seiende Selbst ermöglichende, wahre
Ursache und kann als die alles verbindende stets individuell geprägte und doch
tiefster Verallgemeinerung entsprechende Seele unseres menschlichen Körpers
gesehen werden, den sie zu bewußter Geistigkeit befähigt.
Laotse, der Weise aus dem alten
China stellte folgende Überlegungen über den Urgrund allen Seins an. „Ein unerschöpfliches Gefäß ist das
Dau, urgründig, dem Urahn aller Dinge vergleichbar, urtief und doch allgegenwärtig,
ich weiß nicht, wes Kind es ist; doch eh noch Di war, der Ahn des Himmels war
es.“ Läßt
sich „Dau“ mit „Wahrheit“ und „Di“ mit „Wirklichkeit“ übersetzen?
„Nicht die Wahrheit, in deren
Besitz irgend ein Mensch ist oder zu sein vermeint, sondern die aufrichtige
Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des
Menschen“, bemerkt Gotthold Ephraim Lessing.
Und Johann Wolfgang von Goethe
sieht den Wert des Menschen im wahrhaftigen Suchen danach, „was die Welt im
Innersten zusammenhält“.
Wahrheit ist immer und überall
vorhanden, sie ist dimensionslos, weder an Raum noch an Zeit gebunden. Sie ist
weder Etwas noch Nichts, sondern Alles in Einem. Laotse gebraucht für sie den
Begriff „Dau“, im antiken Griechenland bezeichnete man sie als das “Chaos”, für
die Buddhisten ist sie das „Nirvana“.
Im Alten Testament, das nicht nur den Juden heilig
ist, heißt es, daß Gott am Anfang Himmel und Erde schuf. Und die Erde sei wüst
und leer gewesen, nur der Geist Gottes lag als die alles umfassende Wahrheit,
gleich einem dichten Nebel schwebend auf dem Wasser. Und Johannes schreibt in
seinem Evangelium: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott
war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe
gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ Setzt man
anstelle des Begriffes „Wort“ den Begriff „Information“, so läßt sich durchaus
im „Geist Gottes“ die wahrhaftig vorhandene Urinformation für das uns Menschen
bewußt werdende Sein und dessen Wirklichkeit erkennen.
Vom allgemeinsten Ursprung unserer
Wirklichkeit, immer mehr wird hierbei vom sogenannten “Urknall” ausgegangen,
dem sich sofort und fortwährend die Evolution unseres Universums bis hin zur
Inkarnation des menschlichen Gehirns anschließt, wird von jeder wirklich
erscheinenden Seinsform zu den nächsten sich entwickelnden, materiellen
Struktur- und Funktionseinheiten, aus dem scheinbaren Nicht-Sein kommend und
danach immer an wirklich vorhandenes Sein gebunden, Information übertragen.
Das Sein wird als sich in Raum und Zeit
bewegende Wirklichkeit informiert. Die
Wirklichkeit besteht aus materiellen Strukturen, die in sich wechselwirkend
funktionieren und sich entsprechend der das Sein bestimmenden, dialektischen
Gesetzmäßigkeiten in Raum und Zeit bewegen und sich im Verlaufe ihrer Evolution
verkomplizieren und so funktionstüchtiger werden.
Gegensatzpaare wie Sein und Nichtsein, Energie
und Masse, positive Protonen und negative Elektronen, Adenin und Thymin beziehungsweise
Guanin und Cytosin als gegensätzliche Basenpaare in DNA-Doppelsträngen, das
weibliche und das männliche Prinzip, die einfachere und die kompliziertere
Struktur, Null und Eins … bilden dialektisch und den Naturgesetzen
entsprechend funktionierend sich in sich widersprechende Einheiten, die aus
sich und fortwährend immer mannigfaltigere Formen hervorbringen bis schließlich
der Mensch mit sowohl individuell als auch kollektiv gebildetem Bewußtsein
wirklich wird, der Mensch, der die Welt erkennen und diese mit Willen beeinflussen
kann.
Aber nicht nur der Mensch ist informiert,
sondern auch die unbelebte und die lebendige Natur, die diesen schließlich in
dialektisch funktionierender Evolution hervorbringt.
Alles Sein kann als die Negation der Negation
des scheinbaren Nichts im Etwas, des Urwiderspruchs aufgefaßt werden, wobei
immer nur das Etwas als Wirklichkeit erkannt werden kann.
Dabei ist zu beachten, daß sich durch
gedankliches oder experimentelles Erschließen, also durch immer tiefere,
erkenntnistheoretische Einsicht des menschlichen Bewußtseins in die alles
umfassende Wahrheit das von uns Menschen bis dahin als ein „Nichts“
Wahrgenommene als ein „Doch-Etwas“ erweisen kann.
Ob das „Alles-und-Nichts-Seiende“ die
unendliche Leichtigkeit der Zwischenräume des nach dem “Urknall” expandierendem
Etwas oder die unendliche Schwere eines „Schwarzen Loches“ ist oder
möglicherweise beides gleichzeitig, kann von uns Menschen nicht vollständig
begriffen werden, umreißt aber die allgemeinste Wahrheit, die sich das menschliche
Bewußtsein nie ganz aber immer mehr über seine Wirklichkeit erschließen kann.
Die Wahrheit umfaßt sowohl sich
zum scheinbaren Nichts verdichtende, das Etwas bewirkende, also in Wirklichkeit
vorhandene Informationsträger, als auch sich in eben diesem „Doch-Etwas-Nichts“
bewegende, in sich und durch sich wirkende materielle Strukturen.
Durch dieses Informiert-Sein ist
die alles umfassende Wahrheit omnipotent, aus ihren unendlich vielen,
wahrhaftig gegebenen Möglichkeiten können ebenso viele bewirkende materielle
Funktionsträger hervorgehen.
Information ist in der
Wirklichkeit immer an materielle Träger gebunden, zum Beispiel Licht- und
Schallwellen, Wärme und andere Strahlungen oder Transmittersubstanzen und
vieles mehr.
Nur diejenigen Aspekte der alles
umfassenden Wahrheit können erkannt werden, die aus der Wirklichkeit kommend in
unser menschliches Bewußtsein gelangen. Das gilt sowohl für die Übertragung von
Wissen und Können von Mensch zu Mensch, ermöglicht durch die Leistungen unserer
Sinnesorgane, als auch beim Entstehen jeglicher Erscheinungsform des Seins auf
Grundlage natürlich gegebener Codierungen wie beispielsweise das Übertragen der
Erbinformation von Generation zu Generation und überhaupt das Bewirken allen
Geschehens auf Grundlage des Wirkens der Naturgesetze.
Durch Informationsübertragung
bewegt sich unsere sich raumzeitlich ordnende materielle Wirklichkeit zu immer
komplizierterem und vollkommenerem Informiert-Sein. Aus in Wahrheit gegebenem
und vorhandenem Potenzial erhebt sich materiell in Erscheinung tretend und sich
raumzeitlich bewegend das wirkliche Sein, sich dabei selbst in ständigem
Stoff-, Energie- und Informationswechsel verbrauchend und fortsetzend, also
sich entwickelnd.
Wir, die mit materiell-biotischen
und psycho-sozialen Wesenszügen informierten und zum Schöpfertum begabten
Menschen, sind befähigt uns unserer Selbst bewußt zu werden.
Wir können die Welt und die
Vorgänge des Weltgeschehens erkennen und daraus Schlußfolgerungen ziehen.
Wir können die Natur bearbeiten
und unser Wissen und Können dabei erweitern.
Wir können die Welt bewußt und
zielorientiert begreifen, bearbeiten und befördern.
Wir Menschen werden schließlich
mittels eigenwillig erarbeiteter Kreativität, das wahrhaftig wirkliche Sein,
einschließlich uns selbst, vor dem durch das unbewußte Wirken der Naturgesetze
wahrscheinlich verursachten Untergang bewußt bewahren können.
Seit es Menschen gibt, entwickelt
und manifestiert sich das Mensch-Sein in der Wirklichkeit und es zeigt sich,
widergespiegelt im menschlichen Bewußtsein, als bewußt gewordener Aspekt der
Wahrheit.
Adam Kadmon, der erste Adam, ist
eine symbolische Gestalt der Kabbala, die den Mensch im Menschen, den
Archetypus des Menschen an sich, der menschlichen Urseele oder modern ausgedrückt
das codierte Programm, die Urinformation vom Mensch-Sein beinhaltet.
Um diese Symbolik ohne die
Vorurteile wahrnehmen zu können, die, vermittelt durch das Juden- und später
das Christentum sowie noch später den Islam gegenüber allem Weiblichen als das
vom Männlichen Abgeleitete und somit diesem Untergeordnete aufgebaut wurden,
sollten wir heutigen Menschen unter Adam Kadmon ein Symbol für das Mensch–Sein
an sich verstehen, dem sowohl das Weibliche als auch das Männliche im Menschen
gleichwertig immanent sind.
In der Spekulation, die durch
Gnosis, Hermetik und Elemente hellenistischer und iranischer Religion
beeinflußt wurde, ist der „Urmensch“ Adam Kadmon ein Symbol des universsellen
Mensch-Seins, seine Glieder sind von kosmischer Signifikanz. Die parapsychologische
Anthropologie sieht in der Vorstellung vom Adam Kadmon ein
vorwissenschaftliches Modell eines Menschenbildes, das auch heutigen und
künftigen ganzheitlichen Menschenbildern zum Modell dienen könne.
Entsprechend jener uralten
Vorstellungen wurden also die wirklichen Menschen, von denen man heute,
entsprechend wissenschaftlicher Erkenntnisse, weiß, daß sie in natürlicher Mutations-Selektions-Verhältnismäßigkeit
entstanden sind, nach einem „Urbauplan“ vom Menschen an sich, diesem Adam
Kadmon, durch einen Weltschöpfer erschaffen.
Da sich der Mensch nach biblischen
Vorstellungen versündigte, verlor er drei der ursprünglichen Wesenszüge des
Adam Kadmon, die diesen an die Seite seines Demiurgen stellen, nämlich
Weisheit, Herrlichkeit und Unsterblichkeit. Wonach wir wirklichen Menschen nun
suchen müssen, um uns selbst und die Welt bewußt erkennen, erleben und erklären
zu können, geben viele Überlieferungen und Überlegungen, so auch die
Vorstellung von der vergangenen Epoche eines „Goldenen Zeitalters“, vom „verlorenen
Paradies“ oder von der untergegangenen Insel „Atlantis“ wieder.
Ein „Goldenes Zeitalter“ wird von
Hesiod ebenso beschrieben wie später in poetischer Form von Ovid in seinen
METAMORPHOSEN. Im Vordergrund steht dort eine pessimistische Weltsicht von
einem Altern der Welt, deren sündenlose Jugendzeit vorübergegangen sei und
einem „eisernen Zeitalter“ weichen mußte, das gekennzeichnet sei von
gnadenlosem Existenzkampf. Die Sehnsucht nach einer Wiederkehr des durch
Menschenschuld verspielten Zeitalters der ursprünglichen Gottnähe, nach einer
Wiederkehr des Paradieses in veredelter Form, etwa eines „himmlischen
Jerusalem“, wurde in vorchristlicher Form in ähnlicher Weise auch schon von
Vergil beschrieben.
Immer wieder beschränkt wird das
Suchen der Menschen nach wahrer Bestimmtheit ihres Seins durch sich zwar
verschiebende und so tiefere Erkenntnis ermöglichende und dennoch niemals endgültig
überwindbare Grenzbereiche der Wahrnehmung.
Darum verfallen wir Menschen nur
allzu leicht in unmoralische Lethargie. Es gilt aber vielmehr in unserem
wachsenden Selbstbewußtsein, das Mensch-Sein als höchstes Ergebnis der Evolution
zu verankern und uns so zu aktivem und kreativem, also moralischem Tätigsein zu
bewegen.
So werden wir einstmals in der
Lage sein, die Wirklichkeit in ihrer Wahrhaftigkeit begreifen, sie nutzbringend
und vervollkommnend bearbeiten und vor dem wahrscheinlichen, naturgesetzlichen
Untergang bewahren zu können.
Ein Haus der Menschlichkeit, in
dem der Mensch des Menschen Wert sein kann, braucht ein gutes Fundament.
Menschenbildung, Schöpfungswonnen und Eigenwilligkeit sind die tragenden Säulen
des Mensch-Seins.
Um im
Leben Zufriedenheit, den Lohn für alles Geleistete, zu erlangen, sind wir
Menschen ständig auf der Suche nach Weisheit, Stärke und Schönheit. Darum ist
ein jeder von uns aufgefordert, in sich und um sich zu schauen, um so die
Wahrheiten über das Leben zu erfahren.
Warum ist es aber auch Notwendig, über uns zu
schauen? Was bedeutet das „ewige Stirb und Werde“, dessen wir uns immer bewußter
werden und das wir zu ertragen haben? Und warum müssen wir unsere Blicke auch
in die sinnlich nicht wahrnehmbare Unendlichkeit richten?
Um solche Fragen erörtern zu
können, hat sich unser menschlicher Geist Vorstellungen von den Begriffen
Immanenz und Transzendenz gemacht. Immanenz ist in der Philosophie die Bezeichnung
für das Verbleiben in einem vorgegebenen Bereich, zum Beispiel dem, der die von
unserem Bewußtsein erkannte Wirklichkeit beinhaltet. Transzendenz dagegen liegt jenseits
der sinnlichen Erfahrung und ihrer Gegenstände. Transzendenz ist also das in
Wahrheit vorhandene Potential immanenter Wirklichkeit.
Das alles besagt, das von uns Menschen nur all
das in Wahrheit Vorhandene erkannt werden kann, das sich in unserem Bewußtsein als
die Wirklichkeit darstellt. Im Erkennen
wirklich wahrer Zusammenhänge und im Bedenken der Notwendigkeiten und
Möglichkeiten unseres Tätigseins erlangen wir Menschen unser Selbstbewußtsein,
das wir brauchen, um sinnvoll handeln zu können.
Die Antwort auf die Frage, warum
wir uns aller Mühsal und aller Freude unseres Daseins hingeben sollen und
wollen, sowie daraus hergeleitete, moralische Verhaltensorientierungen für
unsere Lebensgestaltung sind uns Menschen nicht vorgegeben. Wir alle können
aber sowohl im unendlich Wahren als auch im gegenwärtig Wirklichen unseres
individuellen Seins danach suchen und so alles Nötige und alles Mögliche für
die eigene Zufriedenheit finden. Zu bedenken dabei ist, daß uns weder das
gegenwärtig Wirkliche und schon gar nicht das unendlich Wahre jemals
vollständig bewußt werden kann.
Was ist unter Unendlichkeit oder Ewigkeit zu
verstehen? Können wir nur das diesseitig Natürliche sinnlich und gedanklich
erfassen und das nicht offenbar Vorhandene lediglich erahnen? Wo ist der Ursprung
unserer menschlichen Kreativität?
Nur, wenn wir auch Antworten auf solche Fragen
suchen, erlangen wir das nötige Selbstbewußtsein, um unser Leben freude- und
sinnvoll gestalten zu können. Darum müssen wir auch über uns schauen ins
Unbekannte, Übersinnliche, Transzendente.
Im Selbstbewußtsein von uns
Menschen liegt die Weisheit, die den Bau des Mensch–Seins leite, die sowohl die
Stärke, welche den Bau ausführe, in uns wachsen läßt, als auch den Sinn für das
Schöne beflügelt, das den Bau vollende.
Auf der Suche nach Sinnhaftigkeit, Bestimmung
und Moralität unseres Menschseins sind wir alle ein Leben lang, ob im Alltag,
in der Kunst, der Wissenschaft, der Religion. Wir Menschen suchen zeitlebens in immanenter Wirklichkeit und transzendentaler
Wahrheit nach dem rechten Weg zwischen Last und Lust unseres Lebendigseins. So
werden wir uns unserer Selbst immer bewußter und erkennen, daß unser Dasein nur
als integrierter Bestandteil eines universalen Weltganzen möglich ist.
Alle unsere Kulturleistungen befähigen uns Menschen
zu sinnvollem Handeln, unser menschliches Tätigsein belohnt uns mit Zufriedenheit.
Der Mensch denkt, also kann Weisheit den Bau eines Hauses
der Menschlichkeit leiten; der Mensch wirkt, also führt Stärke ihn aus, und
wenn wir Menschen es verstehen, das Mensch-Sein in seiner Eigenart zu bewahren,
wird Schönheit es vollenden.
Um zu immer vollkommeneren Wesen
werden zu können wird uns irdischen, den wirklich und wahrhaftig existierenden
Menschen, schon von alters her empfohlen, auf unserem Weg durchs Leben zu
versuchen, fünf Stufen zu ersteigen:
Man soll sich nie und nirgends
durch äußere Erscheinungsformen täuschen lassen, sondern immer versuchen, auf
den Kern der Dinge einzudringen.
Alles Grobe soll sorgfältig vom
Feinen, der Sinn von der Symbolform und der lebendige Geist vom toten
Buchstaben unterschieden werden.
Man soll versuchen sich selbst, im
Besonderen seine Innenwelt zu erkennen, denn daraus entspringen die
eigentümlichen Werke jedweder schöpferischen Phantasie.
Schließlich soll man sich stets
leidenschaftlich für das Gute und Edle einsetzen, um so die letzte Stufe des
Mensch–Seins, nämlich die der vollkommenen Glückseligkeit, ersteigen zu können.
welch glückliches Besinnen
liegt in erwogner Zeit
so kann uns alle Ewigkeit
zum bleibenden Moment gerinnen
ISBN
ISBN-10: 3842239602
ISBN-13: 978-3842239609